Den Auftakt des Festivals und die Eröffnung der Lecture-Reihe FUTURE IS…machte gestern Noah Sow mit ihrer Lecture “Erfolgreich rassismuskritisch veranstalten”. Unter diesem Label bietet Noah Sow seit einigen Monaten ein Online-Qualifizierungsprogramm, das sich an alle richtet, die veranstalterisch, kuratorisch und entscheidend im Kunst- und Kulturbereich tätig sind. In der Lecture bot sich also die beste Gelegenheit einen 20 minütigen Einblick in ihr Seminar (das 20 Stunden umfasst!) zu erhalten.
Für Sow steht und fällt eine erfolgreiche Veranstaltung mit einer schonungslosen Selbstbefragung und Selbstreflexion, die vor der Projektplanung genügend Raum und Ressourcen einnehmen sollte. Eine Phase, um strukturiert darüber nachzudenken, welche Kriterien und Wissenbestände handlunsleitend für die inhaltlichen und organisatorischen Entscheidungen sind. Es geht um die Verteilung von ideelen sowie materiellen Ressourcen und um ganz konkrete Fragen wie: An wen richtet sich die Aufmerksamkeit in der Veranstaltung? Wer bekommt die meisten Ressourcen? Wer bildet wen fort? Und wer verdient daran?. Hilfreiche Fragen, die auch jene Kulturakteur_innen adressieren, die selbst diskriminiert werden, aber deswegen selbst noch lange nicht automatisch diskriminierungsfrei agieren. Vor der Internalisierung von Unterdrückungsmechanismen ist quasi keiner gefeit. Das heisst, selbst ein ausgebildetes Bewusstsein für Rassimsmus oder Sexismus bewahrt den Menschen nicht dafür sexistische oder rassistische Handlungen an den Tag zu legen. Ein Klassiker bei Veranstaltungen, die Noah Sow mit einigen tragisch-komischen Anekdoten auf den Punkt bringt, erhellend und schmerzhaft zugleich.
Während der 20 minütigen Lecture wirft Noah Sow viele Fragen, Beobachtungen und Thesen in den Raum, die einen nachhaltig zum Denken anregen. Ist Aktivismus per se gut? Wie erkenne ich Pseudoaktivismus? Reicht es “Interesse” für ein Thema zu haben, um eine Veranstaltung dazu zu machen, insbesondere wenn es sich damit schmückt gegen Diskriminierung und Rassismus zu agieren? Oder geht es nicht auch oft um die Aufwertung des eigenen Selbstwertgefühls und letztlich um die eigene Karriere?
Selbsbefragung und Selbstreflektion bewahren übrigens nicht nur davor, Machtverhältnisse unbedacht weiterzureproduzieren, sondern auch vor dem “Aktivist-Burnout”. Jenen aktivistisch Arbeitenden, die sich Heilung von ihrem Aktivismus erwarten, rät Sow lieber meditieren zu gehen. Denn nur wer sich selbst bei Kräften hält, kann auch langfristig an einer Veränderung mitwirken. In diesem Sinne hat Noah Sow auch eine subtile Empowermentperformance entwickelt, die gleichzeitig ihre Werbestrategie für ihr Online-Seminar ist: Wer in eine Veranstaltung gerät und am liebsten schreiend wieder davonlaufen möchte, kann dem erquickenden Rat von Noah Sow folgen und den Veranstalter_innen ostentativ den Flyer “erfolgreich rassismuskritisch veranstalten” in die Hände drücken. Allein der Gedanke an dieses “In Your Face”-Moment macht schon so dermaßen Spass, dass keine Veranstaltung mehr ohne diesen Flyer im Gepäck besucht werden sollte.
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